Gefangen im Prinzip

VON IDA REES

Prolog

Der kleine Ausstellungsraum der Berliner Kunstbibliothek ist voll. Die dichte Ausstellungsarchitektur aus unbehandelten MDF-Platten und schief gebauten Vitrinen erzeugt eine provisorische Wirkung. Man trete somit leibhaftig ein in dieses Rom des 18. Jahrhunderts, in dem keine Ecke gerade und kein 90° Winkel vorhanden zu sein schien. Die Stadt war ruinös, morbide und der Ort schlechthin für den zugezogenen Wahlrömer und venezianischen Architekten Giovanni Battista Piranesi (1720-1778).

Erster Akt

Fünf Kapitel führen Besucher:innen der Ausstellung „Das Piranesi-Prinzip“ durch die drei Schaffensphasen des des „großen italienischen Meisters“. Rot gekennzeichnet sind die Bereiche in denen wir Piranesis Förderer*, Zeitgenossen*, Widersacher* und Mitstreiter* kennenlernen. Ihre vergleichenden Arbeiten zeugen davon, dass der Künstler nicht in einem luftleeren Raum gewachsen, sondern in Tradition und mit Vorbildern zusammengedacht werden will. 

Instagramability im 18. Jahrhundert

Im narrativen Anfang der Ausstellung blicken Besucher:innen auf Piranesis Darstellungen des antiken Roms. Noch halb vom Sand begraben ist der Titusbogen und von der Natur zurückerobert scheinen die Ruinen der Caracalla-Thermen. Angesichtes dieser Stiche können es Influenzer:innen mit #Roma nicht im Geringsten aufnehmen. Piranesi scheint den Filter „DRAMA“ geradezu erfunden zu haben. Mit winzigen Einritzungen schafft er eine fabelhaft schattierte Welt mit ungewöhnlichen Perspektiven auf die reizvolle römische Antike.

Giovanni Battista Piranesi, Capriccio mit antiken Skulpturen (Frontispiz der Vedute di Roma) um 1746/1748
Foto: Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Fotograf:in Volker-H. Schneider

Ein Allrounder, so erzählen die nächsten Ausstellungskapitel, soll er gewesen sein. Ausgebildeter Architekt, aber auch „Archäologe, Künstler, Sammler, Kunsthändler, Designer, Autor”. Im Prinzip war Prianesi nicht nur Inventor spannungsvoller Bildwelten sondern auch eine Art Universalgenie – so das Narrativ der Ausstellung.

Selbst das weniger instagramm-freundliche Thema der antiken Abwassertechnik ist ein einziges Radier- und Ideenfest. Wenn man sich im letzten Ausstellungskapitel abschließend mit dem „Designer“ Piranesi auseinandersetzt, dessen Spolien-Wolpertinger und Kaminentwürfe in ihrer Weise die Ambitionen zum Phantastischen aufgreifen, dann hat man es schließlich vollständig aufgesogen und eingeatmet – das Piranesi-Prinzip. Er war wissbegierig und vielseitig, verband  Kreativität mit unternehmerischem Feingefühl, was ihm sowohl Reichtum als auch Bekanntheit bescherte. Mit seinen dramatischen Vedute di Roma hat Piranesi sich ein goldenes Näschen verdient. Er war eine Art „Influencer“ seiner Zeit. Immerhin wissen wir nun, dank der vielen vergleichenden Arbeiten anderer Zeitgenossen*, dass er auf all das nicht allein gekommen ist. 

Das ist eine klassische Ausstellung, wie man sie von den Staatlichen Museen erwartet: Eine Jubiläumsfeier mit einem männlicher Künstler im Fokus und in den Kontext anderer männlicher Künstler gesetzt. 

Zweiter Akt 

In dem Sinne schießt Arno Wiedmann, Journalist für die Berliner Zeitung an, wenn er fragt: „Was ist das Piranesi-Prinzip?“ und direkt die Antwort liefert: „Es ist die Begabung des Mannes, aus allem etwas zu machen.“ Auch wenn hier in erster Linie nicht der genitivus superlativus gemein sein muss, kann deutlich mitgelesen werden: es ist der MANN, der alles kann.

Angesichts der Ausstellungsvergangenheit der Kunstbibliothek scheint dieser Satz längst Tradition zu sein. Denn von diesem Typus des vielseitigen Mannes hat die Kunstbibliothek seit 2001 einige Exemplare präsentiert. In 20 Jahren waren es zweiundzwanzig Solo- oder Duo-Ausstellungen mit männlichen Kunstschaffenden, darunter Keramiker, Graphiker, Maler und Autoren verschiedener Jahrhunderte. Vielfach verband sie – abgesehen vom Künstlerberuf und herausragend sowieso wie allemal wegweisend – drei entscheidende Merkmale: weiß, europäisch und männlich. Nur zum Vergleich: in zwanzig Jahren fanden insgesamt drei Solo-Ausstellungen von Künstlerinnen statt. Nora Schattauer, DODO und Lotte Pritzel.

Beim Verlassen der Ausstellung fällt er in den Blick: In der kleinen Vitrine in der Ecke liegt der Katalog zur Ausstellung, auf ihm prangt unteranderem das Logo der Humboldt Universität.

Sowohl die Ausstellung als auch der Katalog: „Das Piranesi-Prinzip. Zum 300. Geburtstag des großen italienischen Meisters“ konzipierten Studierende des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt Universität zu Berlin gemeinsam mit Kurator:innen und Forscher:innen der Kunstbibliothek. Erstere erarbeiten in einem Praxisseminar der Kunst- und Bildgeschichte über zwei Semester eine grundlegende Konzeption. Im vergangenen Sommersemester 2020 stand die Umsetzung der Ausstellung im Vordergrund“. 

Das Studium der Kunstgeschichte wird praxisorientierter, wie die dieses Beispiel einer kooperativen Zusammenarbeit zeigt. Zusätzlich zu den Einblicken, die Studierende in derartigen Seminaren erhalten, ist diese Zusammenarbeit im Idealfall ein hybrider Austausch, von dem beide Seiten profitieren. 

Sie Staatlichen Museen Berlin kommunizieren über die Weltkunst, dem Kunstmagazin der ZEIT, was das Ziel dieser Zusammenarbeit von Universität und Museum war. Nämlich „neue Perspektiven auf Piranesi zu öffnen, der seit dem frühen 20. Jahrhundert einseitig als Meister der Carceri und Vorläufer des Surrealismus rezipiert wird.“ Sie führen weiter aus: “In den letzten Jahrzehnten hat die kunstgeschichtliche Forschung diesen Mythos jedoch zunehmend in Frage gestellt. Das Interesse gilt nun nicht mehr den Innenwelten Piranesis, sondern den technischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Realitäten des 18. Jahrhunderts, deren Ressourcen er virtuos für sich zu nutzen verstand.”

Ist dieses Ziel den Ausstellungsmacher:innen gelungen? 

EpilogGefangen im Prinzip

Die Ausstellungskapitel tragen die Namen: Piranesis Rom, Piranesis Bühne, Piranesis Labor, Piranesis Palazzo. Rein sprachlich und formal huldigt die Ausstellung dem Mythos Piranesi. Nur mittels gegenübergestellter Zeitgenossen* erfolgt der Versuch einer Dekonstruktion. Achtundzwanzig derartige Persönlichkeiten – alle waren Männer – begegnen Besucher:innen auf dem Weg durch die Ausstellung und beim ergänzenden Lesen des Ausstellungsführers. Ist das die “künstlerische Realität des 18. Jahrhunderts”?

Nein, sie ist es nicht. Die Ausstellungsmacher:innen tappten erneut in das Prinzip des patriarchalen Machtgefüges. Have there been no women in the 18th century? Mit wenig Rechercheaufwand sind sie zu finden: Laura Piranesi (1755-1785), die Tochter des großen Meisters liegt in den Graphikschränken der Staatlichen Museen zu Berlin. Das Begleitheft erwähnt sie nicht, nur den Sohn. Elisa von der Recke (1754-1833) berichtete auf ihrer Grand Tour intensiv von ihren römischen Eindrücken und die Malerin Angelika Kauffmann (1741-1804) lernte gar bei Piranesi. Eine geschlechtliche Vielfalt in den Ausstellungsraum zu tragen, wäre durchaus möglich gewesen. Doch davon nicht die Spur.

Laura Piranesi, Veduta di Ponte Molle, 1772/1774
Foto: Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Das Sichtbarmachen von Künstler:innen, Mäzen:innen, Sammler:innen ist eine der zentralen Leitfragen in Seminaren an Universitäten. In Bezug auf die längst stattfindende Erneuerung der geschlechtersensiblen Darstellung von Geschichte ist die Ausstellung eine verpasste Chance. Erneut hat sich Kunstgeschichte dem eidimensionalen Gefüge unterworfen.

Gerade in der Zusammenarbeit mit Studierenden hätten wichtige Leerstellen besetzt und neue Perspektiven auf die Kunstgeschichte geworfen werden sollen.

* Der Verzicht auf gendersensible Sprache spiegelt die Sprache in der Ausstellung wieder und wurde aus dem Grund markiert.

Die Ausstellung „Das Piranesi-Prinzip. Zum 300. Geburtstag des großen italienischen Meisters“ ist ab Mitte April und bis Juli 2021 für Besucher:innen wiedereröffnet und alternativ online erfahrbar in der Live-Tour zur Ausstellung.

Titelbild: Giovanni Battista Piranesi: Carceri, ca. 1761 (Detail)
Foto: Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fotograf:in Dietmar Katz

alle Fotos: CC-BY-NC-SA

Weitere Quellen:

Ausstellungsführer: Das Piranesi Prinzip
Arno Widmann: „Das Piranesi-Prinzip: Menschenfresser-Kunst in Berlin“, Berliner Zeitung, 20.10.2020, hier.
Staatliche Museen Berlin: „DAS PIRANESI-PRINZIP“, Advertorial, hier.

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