Online ins Museum – zukunftsfähig auch nach Corona?

VON LUISE BICHLER

Auf die direkte Begegnung mit Kunst mussten Interessierte viele Monate verzichten. Nach dem ersten Lockdown im März 2020 waren die Museen seit November letzten Jahres erneut geschlossen. Die Sehnsucht nach Abwechslung zum isolierten Corona-Alltag durch die Begegnung mit Kultur und sozialem Austausch wird, bei aller Einsicht über die Notwendigkeit der Maßnahmen, immer größer. In diesen Tagen öffnen die Ausstellungshäuser wieder vorsichtig ihre Türen. Dabei bleibt die Sorge vor dem nächsten Lockdown bestehen. Welche Rolle können die digitalen Angebote der Museen, in der gegenwärtigen Situation und in der Zukunft, auch über Corona hinaus, spielen?

Die Corona-Krise hat auch hier, wie in Schulen oder Behörden, die Mängel im Bereich der Digitalisierung deutlich gemacht. Deutsche Museen könnten viel weiter sein in der Entwicklung digitaler Vermittlungsangebote. Im Laufe des vergangenen Jahres entstanden neue Formate, doch das verlief oft schleppend, weil nicht auf bestehende Angebote aufgebaut werden konnte, sondern neue Konzepte ins Leben gerufen werden mussten.

Veranstaltungen – auch im digitalen Raum

Museen bieten über ihre Webseiten vermehrt Zugang zu Digitalisaten aus ihrem Sammlungsbestand. Dabei handelt es sich um eine wichtige Ressource, unter anderem, um Forscher:innen, Lehrenden und Studierenden Zugang zu den Werken zu ermöglichen. Auch im Zusammenhang mit der Provenienzforschung bleibt eine kontinuierliche Arbeit an der Digitalisierung von Beständen wesentlich. Solche Angebote bieten sich allerdings weniger zur Gestaltung eines freizeitlichen Kulturprogramms an, als zur Vor- oder Nachbearbeitung eines Ausstellungsbesuchs.

Online-Veranstaltungen, Vorträge oder Ausstellungsrundgänge, die einmalig stattfinden, halten andere Vorteile bereit. Sie bieten eine Alternative zu den immer verfügbaren Online-Angeboten, Mediatheken und Streaming-Diensten. Hier ist meist eine direkte Interaktion mit der vortragenden Person und den anderen Teilnehmenden möglich. Es werden Fragen gestellt und ein gemeinsames Stimmungsbild entsteht. Zudem bieten sie Anlass, sich für ein gemeinsames kulturelles Event zu verabreden. Anders als bei Live-Streams auf Instagram, werden nach der Anmeldung Zugangsdaten per E-Mail verschickt, sodass eine Verbindlichkeit entsteht.

Auch die eigene Webseite kann in Online-Veranstaltungen eingebunden werden. Die Pinakotheken in München machen dies vor. Kunsthistoriker:innen in der Pinakothek der Moderne nutzen beispielsweise im Live-Chat Objektbilder aus der Sammlung als Grundlage des Vortrags. Zwar erhalten Teilnehmer:innen so keinen Einblick in den Museumsraum, aber die Objekte sind im Detail sichtbar. Außerdem wird die Webseite mit ihren Funktionen vorgestellt und zur weiteren Nutzung angeregt. Auch bei komplexen Projekten, die sich über den Stadtraum erstrecken, wie bei der Ausstellung Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk. im Berliner Brücke-Museum, erweist sich ein solcher Ansatz als sinnvoll. So kann bei den Online-Veranstaltungen ein inhaltlicher Einstieg in das Werk Düttmanns mit einer Erläuterung der multimedialen Funktionen der Projektwebsite verbunden werden.

Das Museum Barberini in Potsdam tut sich mit gelungenen Vorträgen und Online-Führungen zu Wechsel- und Dauerausstellung hervor. Jeweils zwei Kunstvermittler:innen betreuen gemeinsam die Rundgänge durch die digitalisierte Ausstellungsansicht. Dabei werden kuratorische Überlegungen sowie kunstgeschichtliche und biographische Hintergründe anhand der gut gemachten digitalen Ausstellungsansicht erläutert. Das Feedback der Teilnehmer:innen offenbart einen weiteren wesentlichen Vorteil: Deutschlandweit können Interessierte derartige Angebot wahrnehmen.

Die Hamburger Kunsthalle zielt mit ihrem deutsch- und englischsprachigen Online-Programm zudem auf ein internationaleres Publikum. Digitale Veranstaltungen bieten die Möglichkeit, Ausstellungen zu erleben, die anderenfalls nicht zugänglich wären. Das betrifft sowohl Menschen, die schlicht nicht zu allen interessanten Ausstellungen reisen können, als auch diejenigen, denen ein Museumsbesuch auch unabhängig vom Lockdown nicht oder nur schwer möglich ist.

Barrieren weiter abbauen

Seit Januar 2021 bieten die Staatlichen Museen zu Berlin Telefonführungen an. Dieses inklusive Angebot richtet sich an blinde, sehbeeinträchtigte und sehende Menschen. Per Telefon oder Video-Chat können Teilnehmende den Beschreibungen von Ausstellungsräumen- und Objekten sowie Hintergrunderläuterungen einer Kunstvermittler:in lauschen und gemeinsam ins Gespräch kommen. So werden beispielsweise am Telefon einzelne Werke von Beuys aus der Dauerausstellung des Hamburger Bahnhofs vorgestellt. Ein großer Vorteil dieses Angebots besteht darin, dass der Zugang per Telefon niedrigschwellig ist. Auch Interessierte mit eingeschränkter technischer Ausstattung oder ohne Erfahrung in der Bedienung von Online-Programmen, erhalten so Zugang zu kulturellen Angeboten. Insgesamt also ein guter, wenn auch vom Umfang ausbaufähiger Ansatz.

Auch kleine Ausstellungshäuser haben überzeugende digitale Angebote auf die Beine gestellt, wie das Haus am Lützowplatz in Berlin beweist. In der Corona-Krise wurde die Entscheidung getroffen, die Aufsichtskräfte des Hauses weiter zu qualifizieren – sie übernehmen jetzt zusätzlich die Durchführung der digitalen Rundgänge. Hier werden nun kostenlose Führungen angeboten, bei denen sich Kunstvermittler:innen direkt in den Museumsräumen bewegen. Dafür wird ein Tablet auf einem Stativ durch die Ausstellung gerollt. Auf Wunsch der Zuschauer:innen kann bei Werken verweilt und intensiver auf sie eingegangen werden. In der aktuellen Ausstellung gibt es zudem die Gelegenheit, bei diesen Online-Rundgängen einmal in der Woche direkt mit der derzeit ausstellenden Künstlerin, Margret Eicher, zu sprechen. Gegenüber den digitalisierten Ausstellungsansichten bietet diese Form der Vermittlung eine unmittelbarere Raumwahrnehmung – der Museumsraum und die Werke darin werden dynamischer und ganzheitlicher rezipiert. Durch das Heranrollen an die derzeit ausgestellten Tapisserien können sogar Oberflächen und Texturen erahnt werden. Gerade für Installationsarbeiten oder Performances könnte dieser Ansatz besonders geeignet sein.

Auch die transmediale bietet in diesem Jahr Proxy Visits an, bei denen einzelne Teilnehmer:innen per Video-Chat von einer vor Ort befindlichen Person durch die Ausstellungsräume geführt werden. Dabei können spannende und sehr persönliche Zwiegespräche über die gezeigten Werke entstehen, wobei die Handhabung des Tons der Video-Installationen noch zu perfektionieren ist. Deutlich wird bei den verschiedenen Angeboten, dass Ausstellungen abhängig von den präsentierten Kunstwerken spezifische Lösungen benötigen.

Guter Anfang mit Luft nach oben

Trotz guter Ansätze hapert es teils an der Benutzer:innenfreundlichkeit mancher digitalisierten Ausstellungsansicht. Eingeblendete Raumpläne könnten die Navigation, ähnlich wie bei Computerspielen, erleichtern. In der Gemäldegalerie Alte Meister im Dresdner Zwinger erlaubt die Aufnahme der Räume und Werke zwar den Farbauftrag und die Oberflächenstruktur der Gemälde zu erkennen, dafür bleiben manche Bilddetails jedoch hinter den spiegelnden Lichtreflexen verborgen. Lösungen, die sowohl eine räumliche Wahrnehmung und das Erkennen der Oberflächenqualität erlauben, als auch eine Detailansicht bieten, wären wünschenswert. Außerdem fehlen vielfach Angebote, die durch automatische Untertitel oder Gebärdensprache gehörlosen oder hörbeeinträchtigten Menschen Zugang bieten. Viele Formate könnten mit genaueren Objektbeschreibungen auch für blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen stärker geöffnet werden.

In Zukunft stellt sich die Frage, wie analoge und digitale Vermittlungsangebote ineinandergreifen können. Intermediale Ansätze, die den digitalen Raum bei der Erstellung von Ausstellungen und Publikationen noch stärker mitdenken, sind dabei eine Herausforderung für die Museen.

Barrierefreiheit zu verbessern, bleibt dabei ein wichtiges Thema für die deutsche Museumslandschaft. Digitale Angebote per Computer oder Telefon können einen Baustein darstellen, um wissensbasierte, ökonomische, räumliche und sinnliche Hürden zu überwinden. Auch unter klimapolitischen Aspekten ist es wichtig, Zugänge zu Museen und Ausstellungen zu schaffen, die nicht nur auf das Reisen und die räumliche Präsenz vor Ort angewiesen sind. Dabei werden Online-Veranstaltungen nie das direkte Kunsterlebnis ersetzen und sollen dies auch nicht. Sie stellen aber eine wichtige Ergänzung dar und eröffnen neue Räume für kuratorische und kunstvermittelnde Konzepte.

Die Corona-Pandemie hat zum Handeln gezwungen und Kapazitäten im Museumsbetrieb freigesetzt. Es wäre wünschenswert, wenn diese Ansätze nach überstandener Krise nicht wieder in den Schubladen verschwinden, sondern ausgebaut und zum festen Bestandteils der Veranstaltungsprogramme von Museen werden – um die Kulturvermittlung breiter aufzustellen und mehr Kultur zu bieten, und zwar für alle.

Beitragsbild: Lina Mannherz

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