Gustavo Monroy − der “Mexikanische Masaccio”

von Antonia Stausberg

Der Maler Gustavo Monroy, 1959 in Mexiko geboren, studierte von 1979 bis 1983 an der bemühtem Escuela Nacional de Pintura, Escultura y Grabado, der sogenannten “La Esmeralda”. Sein Werk ist zutiefst von der manchmal makaberen und surrealen Realität Mexikos geprägt − ebenso wie vom reichen und vielseitigen Erbe der mexikanischen Volkskunst. Ich entdeckte seine meist großformatigen Arbeiten zum ersten Mal 2018 im “Museo Espacio”, einem Museum für Moderne Kunst in Aguascalientes, welches sich in den großzügigen Anlagen einer ehemaligen Eisenbahnwerkstatt befindet. 

In dem  Grafikatelier “Taller Von Guten” in Aguascalientes kaufte ich damals eine kleinere Arbeit von Gustavo Monroy mit einem Schlangenkopfmotiv, die immer wieder das Interesse vieler Gäste in meiner Berliner Wohnung erregte. Mit Begeisterung folgte ich in den letzten Jahren dem Künstler dann auf seinem Social Media Account Instagram. Als ich über die Weihnachtsfeiertage endlich wieder einmal nach Mexiko reiste, entschied ich mich, ihm zu schreiben und mein großes Interesse an seinem Werk zu bekunden. Zu meinem Glück, bekam ich sogleich eine Antwort sowie eine Einladung in sein Atelier.

Gustavo Monroys Atelier, Mexiko
Foto: A.S.

Wer Monroys Werke betrachtet, entdeckt sogleich, dass die Thematik des Schmerzes als der grundlegendsten Emotion jeglicher Existenz immer wiederkehrt. Der Schmerz der Seele, der sich in vielen seiner Werke manifestiert stammt, aus dem christlich-katholischen Lebens- und Mythenwelt. Die Vertreibung aus dem Paradies ist eines der Hauptthemen, mit denen sich Monroy in seiner Malerei seit Jahrzehnten beschäftigt − und die er in Zusammenhang stellt mit Migration und der Bedeutung von Identität. Die Symbolik und Bedeutung der Migration sei ein Dauerthema der Menschheit, erklärt der Künstler im Gespräch − anschaulich und ausführlich: “Schau dir Mexiko und generell die ganze Welt an: Wir erleben gerade ein globales Phänomen der Migration. Und es ist etwas sehr Beunruhigendes, dass uns Menschen eben alle betrifft. Denn wir sind alle Migranten, da alle irgendwann in unserem Leben von irgendwo immigriert und dann irgendwo hingezogen sind. Einer unser Familienangehörigen ist in seinem Leben irgendwann und irgendwo immigriert. Von Anfang an ist die Geschichte des Homo Sapiens das Resultat von Millionen von Jahren des Migrierens, des sich auf Wanderschaft Befindens − und dies wird sich auch nie ändern. Aber wir erleben gerade ein etwas neues Thema der Migration; ein Problem, was verstärkt heute einen ökonomischen, sozialen und politischen Aspekt gewonnen hat.” 

“Die Geschichte der mexikanischen Malerei ist ungemein reich, vielseitig und vielschichtig”, erklärte mir der Künstler bei einer Tasse Kaffee. Inspiration für seine Arbeiten findet er deshalb sowohl in der prähispanischen Malerei, in den sogannten “Códices prehispánicos ” und der mexikanischen Kunst zur Zeit des spanischen Vizekönigreichs, also dem Virreinato mit dem reichen Erbe des spanischen Barocks. Später folgten vor allem die Einflüsse des Muralismo, aber auch der italienischen Renaissance. Diese verstärkten sich durch lange Aufenthalte in Europa, wo er auch viele Jahre in Prag lebte. “All das ist längst mein eigenes kulturelles Erbe, aus dem ich immer wieder schöpfe.” 

Gustavo Monroys Atelier, Mexiko
Foto: A.S.

Vor einigen Jahren sah Monroy in Florenz das berühmte Fresko des Cinquecento Künstlers Masaccio “Die Vertreibung aus dem Paradies”, in der Basilica di Santa Maria del Carmine. Es ist um 1425 entstanden. Für Monroy wurde Masaccio eine Schlüsselfigur, um zu verstehen, dass die Kunst der Vergangenheit immer weiterlebt und präsent bleibt. Er erklärte mir: “Wenn man an eine Arbeit denkt aus dem 15. Jahrhundert und sie ins 21. Jahrhundert transferiert, merkt man erst, wie groß die Verbindung ist. So habe ich eine Serie an Arbeiten produziert, mit einer klaren Referenz zu Masaccio, aber mit einem Fokus auf das aktuelle Thema der heutigen menschlichen Migration. Geprägt durch meine persönliche Geschichte, meine Zeit und meine Geografie und was natürlich mein Bezug zur Migration ist.” 

Monroy ist im nördlichen mexikanischen Bundesstaat Sonora geboren, also an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Damit war er von Anfang an mit der konstanten Herausforderung und der Thematik des Grenzübergangs konfrontiert, also des Auswanderns und des Zu- oder Wegziehens: “Meine Familie ist irgendwann in die USA ausgewandert − und ich bin dann allein zurück nach Mexiko. Später bin ich aber nach Europa gezogen, um dann auch wieder zurück nach Mexiko zugehen”. In den beiden Ölbildern “Alone II” und “Río” von 2003 erkennt man die berühmte Szene von Masaccios Werk “Die Vertreibung aus dem Paradies” wieder. Man sieht einen schluchzenden Adam, der in Scham sein Gesicht mit den Händen verdeckt, gefolgt von Eva, die mit Schmerzensausdruck auf ihrem Gesicht zu Gott in den Himmel schaut. Wenn wir uns heute das Phänomen der Immigration anschauen, scheint der Künstler Masaccio modern und aktuell:“ Jedes Paar, das heute ein neues Land sucht, führt damit direkt zu Masacciozurück”, erklärte mir Monroy. Die Corona Pandemie wiederum hat uns aber allen gezeigt, was es bedeutet, wenn Grenzen und Durchgänge vorübergehend geschlossen werden und jeglicher Zutritt verwehrt bleibt: Es folgen Chaos und Schmerz sowie eine bittere Abgrenzung. 

Monroys Werkserie “Memento Mori” − lateinisch für “bedenke, dass Du sterben wirst” − führt einem noch stärker die Brutalität der gegenwärtigen mexikanischen Gesellschaft vor Augen. In seinem Bild “Naturaleza muerta VII” von 2010, liegt ein toter Kopf der deutlich als Monroys eigener zu erkennen ist, blutverschmiert und mit der Inschrift “Patria” (Heimat) auf einem Holztisch. Geschmückt und umgeben von drei großen Wassermelonen hätte dieses Bild auch ein Stillleben der Malerin Frida Kahlo sein können. Jedoch zeigen die immer wiederkehrenden mexikanischen Stilelemente in Monroys Arbeiten die direkte Konfrontation mit dem Tod und der Fragilität des menschlichen Lebens.

In einer anderen früheren Werkserie sieht man häufig das Gesicht des Künstlers bedeckt mit dunklem Bart und langem Haar – fast so, also nähme Monroy die Rolle, des gekreuzigten Christus ein. In einem eigentlich eher konservativen Land wie Mexiko provozieren solche Bilder erst einmal Kritik. Für Monroy jedoch eignet sich das Thema der Kreuzigung ideal dazu, die schwierige Geschichte der Kolonialisierung des Landes ebenso zu thematisieren wie die Situation von Millionen armer Menschen in Mexiko, die weiterhin in den schlimmsten Verhältnissen leben. Dies wiederum wird auch durch die Migration provoziert – und der eng damit verbundenen Korruption vor allem in den Gegenden an der über dreitausend Meilen langen gemeinsamen Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. 

Monroys Kunst spiegelt das wider, was Mexiko heute ist: Ein zutiefst verletztes Land. Es bleibt dennoch die Hoffnung, dass nach der Vertreibung aus dem Paradies, der himmlische Segen auf Erden zu finden ist.

Gustavo Monroys Werke befinden sich in wichtigen mexikanischen Sammlungen und Museen, wie zum Beispiel dem Museum für Moderne Kunst in Mexiko-Stadt, dem Museum für Zeitgenössische Kunst in Aguascalientes, dem Nationalen Museum für Drucke, dem Nationalen Institut für Schöne Künste, dem Universitätsmuseum für Wissenschaften und Künste der UNAM, sowie dem Arte Carrillo Gil Museum für Zeitgenössische Kunst in Mexiko-Stadt.

Via Instagram @gustavomonroy94 kann man dem Künstler folgen.

Mauricio Salcedo – ein Chronist Bogotás 

M.A. Antonia Stausberg

Bei einem kreativen und innovativen Versuch zur Stadterneuerung hat die mexikanische Regierung 2015 mit einem Künstlerkollektiv, bekannt als die “German Crew” zusammengearbeitet, die 14 Monate lang damit verbracht haben ein 20.000 Quadratmeter großes Wandgemälde an die Fassaden von 209 Häusern im Bezirk Palmitas in Pachuca zu malen. Ziel des Projekts war es die Integration der Gemeinschaft zu fördern und das negative Image des Viertels zu ändern. Aber auch einen visuellen und sozialen Wandel herbeiführen, indem es – zumindest vorübergehend – Arbeitsplätze schafft und so auch die Kriminalität und Gewalt in der umliegenden Nachbarschaft verringert.

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