von IDA REES
Das 19. Jahrhundert gebar die Nationen. Mit dieser Geburt begannen die europäischen Zerwürfnisse. 1871 wurde in Versailles das Deutsche Kaiserreich proklamiert, das war das Ende der Einzelstaaten, aber auch der Beginn der Eliminierung von Vielfalt und der Homogenisierung von Kultur zugunsten des neuen Nationalbewusstseins. In Schulbüchern des 19. Jahrhunderts filterten Historiker:innen Ereignisse, die die Gründung der Nationen legitimierten. Aus den gewählten Ereignissen entstanden Mythen, Geschichtsschreibung wurde manipuliert und konstruiert*.
Einer dieser Mythen, mit dem sich die Nation im 19. Jahrhundert identifizierte, ist die 9 n. Chr stattgefundene Schlacht im Teutoburger Wald. In der sogenannten Varusschlacht standen sich römische und germanische Truppen gegenüber. Das germanische Heer unter Armenius zwang die römischen Truppen in die Niederlage.
Armenius Triumph lebte im 19. Jahrhundert wieder auf. Heinrich von Kleist schrieb 1808 in Dresden das Drama „Die Hermannschlacht“ in dem er dazu aufruft, Werte und Moral zu Gunsten der Nation aufzugeben. Bildende Künstler schlossen sich der nationalen Bewegung an: Karl Friedrich Schinkel oder Caspar David Friedrich stellen Armenius, nun Hermann genannt, als den Visionär der deutschen Einheit dar. Aus der Schlacht im Teutoburger Wald, die nur in römischen Quellen überliefert ist, erschuf man einen Nationalhelden. Besser hätten die Gebrüder Grimm die Geschichte nicht aufschreiben können. Historische Ereignisse wurden märchenhafte Mythen.

Das eingestürzte Grab im Vordergrund trägt den goldenen Schriftzug ARMINIUS
Heute leben wir in einer Demokratie mit einem vielfältigen Parteiensystem. Das 19. Jahrhundert ist zeithistorisch überwunden. Eine Partei in Deutschland hält an dem nationalistischen Bewusstsein fest. Alte, vergangene und überwunden geglaubte Sichtweisen tauchen in den Reden und dem Parteiprogramm einer sich selbst ernannten „Alternative“ auf. Zum Jahresbeginn spricht Jörg Urban (AfD-Sachsen) bei der Europawahlversammlung der Partei die Mitglieder als „liberale – und soziale Patrioten“ an. Welchen Preis zahlen die AfD-Anhänger:innen für die emotionale Verbundenheit mit der „eigenen” Nation?
Das Wahlprogramm der AfD Sachsen zur bevorstehendenden Landtagswahl am 1. September 2019 ergießt sich in Homophobie, Antifeminismus und Rassismus. Die Themen, die im Wahlprogramm verhandelt werden, übergehen die Kompetenzen einer Landesregierung, sind rückwärtsgewandt und schüren Ängste. Gänzlich eliminieren möchte die Partei beispielsweise die Gender-Studies: „Kern der Gender-Ideologie ist die Leugnung von biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau […]. Die AfD fordert, dass Sachsen keine Mittel mehr für die Genderwissenschaft bereitstellt und keine Gender-Professuren mehr besetzt werden. Alle Fördermittel für die Genderwissenschaft sind zu streichen. […] Gleichstellungsbeauftragte sind abzuschaffen.”
Die Diversität der Kultur und die des liberalen Konzepts von Familie, soll laut Wahlprogramm verschwinden. Das sind eigentlich Prozesse hin zu Konzepten, die man längst überwunden glaubte!
Nach der Europawahl im Frühjahr 2019 feierte sich die Partei und taumelte vermeintlich selbstsicher in den Wahlkampf, in dem sie neben anderen nationalistischen Ideen, auch die Freiheit Kunstschaffender angreift: „Sachsen wird weltweit auch wegen seiner einzigartigen Theater- und Orchesterlandschaft beachtet. Wegen ihrer herausragenden Bedeutung setzt sich die AfD dafür ein, Kultur zu den Pflichtaufgaben des Staates zu erklären. Unsere Kulturpolitik muss dafür Sorge tragen, dass hier eine ausreichende Förderung und Weiterentwicklung gewährleistet werden kann. Wir wenden uns allerdings gegen ein vorrangig politisch motiviertes, propagandahaft – erzieherisches Musik- und Sprechtheater, wie es mitunter auch auf sächsischen Bühnen praktiziert wird. Genauso kritisch sehen wir eine subversive Förderung antidemokratischer, religiös verbrämter Ideologien unter dem Deckmantel der von uns selbstverständlich garantierten Religionsfreiheit.“
Man erklärt die „Kultur zu den Pflichtaufgaben des Staates” und wendet sich gegen ein „vorrangig politisch motiviertes, propagandahaft – erzieherisches Musik- und Sprechtheater“, was das genau bedeutet? Das heißt konkret, dass die Partei hier massiv Einfluss auf die Spielpläne der Bühnen nehmen möchte. Nationalisten, die sich ihre Geschichten selbst schreiben? Historisch hat es das mehrfach gegeben, heute ist es konkret im Wahlprogramm der AfD Sachsen zu lesen.
Im Visier der Debatte dieser Politiker:innen steht – unter anderem, das Festspielhaus Hellerau.
Während das Dresdner Stadtzentrum in vielen seiner barocken Bauwerke vorrangig Kunst vergangener Jahrhunderte präsentiert, benötigt die Straßenbahn rund 30 Minuten aus dem Stadtzentrum zum Festspielhaus Hellerau – dem Ort der zeitgenössischen Künste in Dresden. Neben all dem, was in der Stadt geboten wird, bieten Kunstschaffende dort einen jungen und frischen Ort voller Leidenschaft für zeitgenössische Tendenzen. Seit 1997 findet im Festspielhaus das sehenswerte CYNETART Festival statt – 2002 siedelte sich der Kulturbetrieb Europäisches Zentrum der Künste Dresden im Haus an. Laut dem aktuellen Spielplan stehen in den kommenden Monaten zahlreiche Festivals, Diskussionsrunden, Workshops, Konzerte, Ausstellungen und Performances an. Warum steht die Spielstätte im Visier der Partei?
Silke Schöps (AfD Stadträtin, Dresden) teilt in ihrer Pressemitteilung vom 20. Juni 2019 mit: „Problematisch ist in unseren Augen ebenfalls die z.T. sehr eindeutige politische Ausrichtung des Kulturbetriebes insgesamt.“ Die „sehr eindeutige politische Ausrichtung“ sowie ein Vorfall, der sich 2016 bei einer Veranstaltung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ereignete, gehören 2019 zu den Gründen, warum die Finanzierung des Hauses, aus Sicht der AfD überdacht werden sollte: „Uns ist der konkrete Fall bekannt, dass das Festspielhaus in der Vergangenheit auch für Veranstaltungen mit fragwürdigem Verständnis von Demokratie und Toleranz genutzt wurde. 2016 wurden Personen aus einer Veranstaltung (“2gather“-Kongress mit dem damaligen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz) geworfen, weil sie zuvor an Demonstrationen teilgenommen hatten, die den Veranstaltern offenbar nicht gefallen hatten.“
Können das die Argumente sein, einem Haus die Finanzierung durch öffentliche Mittel zu streichen? Das aktuelle Wahlprogramm der AfD läutet zum dritten Mal in knapp 100 Jahren die Politik des Kahlschlages ein, deren Konsequenzen man dieserorts bereits in langwierigen Prozessen erlebt hat.
In Sachsen hat diese Partei, ihr Handeln und Proklamieren in den letzten Monaten vielerorts Gegenwind erhalten. Viele Gruppen, Initiativen, Schulen, Universitäten, Vereine handeln.
Auch an der Hochschule der Bildenden Künste Dresden (HfBK) wird seit Mai dieses Jahres Aktivismus deutlich an die Öffentlichkeit getragen. Studierende nahmen die Nähe einer Mitarbeiterin zu der nationalistischen Partei (AfD) zum Anlass, der Hochschule eine Stellungnahme abzuverlangen. Ende Mai besetzten sie die Bibliothek in der Fakultät II. Zwei Gründe für die symboltragende Aktion wurden in der Pressemitteilung des Studierendenrates genannt. Zum Einen das Bekanntwerden der Kandidatur der parteilosen Bibliotheksleiterin auf den Wahllisten der Meißner AfD und die jahrelange Frustration in Bezug auf den zu allgemein gefassten Diskursumgang der Hochschule in Bezug auf die stehst erstarkenden Neuen Rechten. Die Studierenden sahen dringenden Handlungsbedarf. Die Besetzung der Hochschulbibliothek war der Beginn, weitere friedliche Interventionen folgten. Die HfBK wurde 1764 als „Haupt-Kunst-Akademie“ gegründet und ist somit eine der ältesten Kunsthochschulen Europas. Mittlereile findet sich auf der Homepage eine hochschulpolitische Positionierung der Studierenden: „Ein/e Künstler:in ist nicht dazu verpflichtet, Partei zu ergreifen und dies durch seine/ihre künstlerische Arbeit öffentlich zu vermitteln. Unsere Aufgabe besteht vielmehr darin, etwas zu erschaffen, was zum weiteren Denken anregt. Wir als Künstler:innen sind zudem, wie alle Menschen, Gestalter:innen unseres heutigen Zeitgeschehens. So stellen wir leider fest, dass gerade im Freistaat Sachsen Bewegungen und Meinungen gebildet und befeuert werden, die uns beunruhigen. Ereignisse wie in Chemnitz und die beständigen Parolen PEGIDAs können wir nicht unkommentiert lassen. […] Wir als Studierende der HfBK Dresden sind Teil der zukünftigen Kunstschaffenden Sachsens. Da immer wieder Seilschaften zwischen Exekutive und Legislative aufgedeckt werden, befürchten wir in Hinblick auf das diesjährige Wahljahr Einschränkungen in unserer Freiheit und unserem Schaffen. Gerade unsere nationale Geschichte sollte uns wachsam gegenüber solchen Entwicklungen sein lassen.“
Studierende der Kunsthochschule sind aktiv geworden und haben sich dabei mit friedlichen Formen des Protests, lautstarke Stimmen und Aufmerksamkeit verschafft. Darüber hinaus bleiben die Studierenden insistent. Die aktuell entschiedenste Geste ist die Gründung des Instituts für Bessere Staatspolitik (IfBS). Das IfBS ist ein Thinktank, der klaren Vorstellungen dient: „Vor dem Hintergrund der erstarkenden rechtsnationalistischen Hegemonieansprüche auf politischer Ebene und dem Versagen europäischer Regierungen, Antworten auf drängende Zukunftsfragen zu finden, verschreibt sich das IfBS der Aufgabe, durch BESSERE Handlungsformen der aktuellen autoritär-neofeudalen Politik entgegenzuwirken. Durch die Vereinigung künstlerischer, wissenschaftlicher sowie aktivistischer Strategien und Praktiken werden neue solidarische Handlungsansätze entwickelt, die zu einer sozial-ökonomisch und ökologisch gerechteren Welt beitragen.“ Die Akteur:innen des Instituts veranstalteten im August die Sommerakademie der Menschenrechte. Es waren drei Tage vernetzende Aktivitäten mit Workshops und Podiumsdisskusionen in Zusammenarbeit mit Dorisdean, dem SchwabinggradBallett, dem Verlag Herakles und dem Tribunal ‚NSU-Komplex-auflösen‘. Gemeinsam mit allen Interessierten wurden die Ergebnisse der Sommerakademie auf die #unteilbar Demonstration vergangendes Wochenende in Dresden getragen. Mit neuen „Synergien aus Kunst, Literatur, Wissenschaft und Aktivismus“ arbeitet das selbsternannte Institut interdisziplinär und progressiv. Auch wenn das Institut für bessere Staatspolitik eine Form des Aktionismus ist, also kein angegliedertes Institut der Hochschule, übernimmt die Hochschule neben diversen Stiftungen die Förderung der Aktion. Sie wird damit eine der ältesten europäischen Kunsthochschule – die sich nun doch immer klarer positioniert.
Unabhängig von den Geschehnissen an der HfBK Dresden, sei folgendes gesagt:
Es ist mutig, schillernd und richtig, sich gegen nationalistische Tendenzen in der aktuellen Zeit zu stellen. Es zeugt von historischer Urteilskraft und Intelligenz, Räume zu okkupieren, zivilen Ungehorsam zu leisten und sich Gehör zu verschaffen, um dann – und das ist wohl das Wichtigste – diese Ideen weiter zu entwickeln und weiter zu tragen. Unser demokratisches Wertesystem wird angegriffen, niemand sollte jetzt noch handlungslos verharren.
*FLACKE, Monika: Mythen der Nationen. Ein Europäisches Panorama, Berlin 1998
Titelbild: Ida Rees
Festspielhaus Hellerau: Stephan Floß aus Wikipedia (CC BY 4.0)