In Erasmus we trust.

von Imke Kappernagel

Pisas Straßen sind voller Glitzer. Während ich und 200 andere Erasmus-Studierende gerade ankommen, laufen andere mit Lorbeerkränzen auf dem Kopf und ihrer Familie im Schlepptau wie siegreiche Kämpfer des letzten Dichterwettstreits durch die Stadt. Die Absolvent:innen der verschiedenen Unis in Pisa haben dann meist gerade ihre Abschlussarbeit verteidigt, sind mit selbiger in der Hand mit Konfetti beworfen worden und machen sich jetzt auf dem Weg zum schiefen Turm der Stadt. Diesen, so der Aberglaube, darf man erst betreten, wenn man seinen Abschluss hat – macht man es trotzdem vorher, bleibt man für immer Student:in.

Acht Wochen vorher. Ich packe meinen Koffer und ich nehme mit: Zwei Reisetaschen voller Dinge, die sich schon bald als relativ nutzlos herausstellen werden, L’Auberge Espagnole auf DVD und einen Online-Sprachtest, der mir das Sprachniveau B2 in Italienisch attestiert. 10 Monate Pisa. Einen Satz höre ich immer wieder: „Italien und Kunstgeschichte – das passt ja ganz toll.“

Jährlich machen sich rund 200.000 junge Europäer:innen auf, die Welt um sich herum zu entdecken. In Spanien, Polen oder Schweden treffen sie dann auf Ihresgleichen: Mittzwanzig, international weltgeöffnet, aufgeregt. How little did we know. Aber wer ist eigentlich dieses Erasmus? Desiderius Erasmus von Rotterdam, der entweder 1466, 1467 oder 1469 und wahrscheinlich in Rotterdam geboren ist, war ein bedeutender Humanist der Renaissance. Bücher hat er geschrieben, Priester und Theologe war er auch – und jetzt eben Mitnahmensgeber der EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students – kurz ERASMUS. Beschlossen hatte das Programm der Europäische Rat im Jahr 1987 auf Initiative der Erziehungswissenschaftlerin Sofia Corradi. Ob denen dabei klar war, was das Ganze über 20 Jahre später für Folgen haben würde?

Der Wikipedia Artikel zum Erasmus Austauschprogramm schreibt, dass einer Umfrage zufolge Studierende des Erasmus-Programms etwa doppelt so häufig Lebensbeziehungen mit ausländischen Partnern eingingen, wie es ihre zu Hause gebliebenen Kommiliton:innen täten. Die Arbeitslosenquote bei Erasmus-Studierenden liege fünf Jahre nach dem Abschluss 23% unter dem Durchschnitt. Addiere und subtrahiere ich die Ergebnisse aller Studien, die ich zum Thema Arbeitslosenquote bei Geisteswissenschaftler:innen mit Masterabschluss bis heute gelesen habe, liegt mein Risiko der Arbeitslosigkeit nach der Neuberechnung irgendwo zwischen – 5 und 37%.

Studieren im Ausland gehört zu jeder zeigenswerten akademischen Laufbahn fast dazu. Studium der Kunstgeschichte in Wien, Hamburg und Florenz. Studium der Kunstgeschichte in Marburg, Berlin und Cambridge – Studium der Kunstgeschichte in Meppen, Fürstenwalde und Karlsruhe klingt ja auch irgendwie kacke. Sobald man aber selbst eine Stadt dieser Aufzählung hinzufügt, merkt man schnell vor allem eins: Einige Dinge sind überall gleich – und das bedeutet vor allem bürokratisch. Auch wenn es relativ hürdenfrei ist, einen Platz im Erasmus-Programm zu bekommen, muss man sich durch einen Stapel an ‚Agreements‘ gearbeitet haben. Es werden Karten und Nummern ausgegeben und getauscht. Der AStA bekommt Geld und zahlt dieses dann wieder aus. Was ich mittlerweile auf jeden Fall gelernt habe, ist Dinge zu unterschreiben, mit meiner Handykamera einzuscannen, per Mail zu verschicken, dann die Antwort weiterzuleiten und das Ergebnis der erneuten Antwort in der Copisteria meines Vertrauens auszudrucken.

Die ersten Wochen laufen chaotisch. Die Einführungsveranstaltung des Fachbereichs „Zivilisation und Formen des Wissens“ lässt dann keine Wünsche offen: Der Dozent betritt zehn Minuten zu spät, mit halb geöffnetem Hemd und Sonnenbrille in den Haaren den Raum, um uns zu eröffnen, dass es keine Anwesenheitspflicht gibt und dass auch sonst eigentlich gerade keine Fristen anstünden. In der Kirche meines Herzens brennt eine Kerze für bestätigte Klischees. Am zweiten Tag der ‚Welcome Week‘ erfahren wir, dass die Kurse bereits begonnen haben – auf der Internetseite stünden leider die falschen Zeiten. Wie alle anderen Studierenden es zu ihren Veranstaltungen geschafft haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Regelmäßig gehe ich zu Kursen, die dann nicht stattfinden, weil die Dozentin z.B. nach ihrer entlaufenden Katze suchen muss. Und auch wenn es mir für die arme Luna, die mittlerweile zum Glück wieder aufgetaucht ist, echt leid tut, frage ich mich, was das Ganze inhaltlich für einen Sinn hat. An dieser Stelle soll dabei keinesfalls jedes Seminar mit mittelmäßigen Referaten und einschläfernder Diskussionskultur glorifiziert werden, dass man sich bei uns so antun darf. Wenn ich aber hier in Seminaren mit weniger als zehn Leuten sitze und die Unterrichtsform am ehesten einer Vorlesung gleicht, frage ich mich nach der Sinnhaftigkeit meiner Anwesenheit. So sind die mündlichen Prüfungen am Ende des Jahres das Ziel – und für die muss meist der Inhalt von Büchern reproduziert werden, nicht der der Vorlesungen.

Leben im Ausland heißt mit ERASMUS auch Leben in einer Blase. Und natürlich, das ist jetzt nicht unbedingt die größte Erkenntnis, tun wir das sowieso immer. Hier führt das aber zum Beispiel auch dazu, dass sich mein Italienisch noch nicht viel verbessert hat – dafür kenne ich mittlerweile eine Reihe recht nützlicher spanischer Schimpfwörter und einige mir bisher unbekannte deutsche Delikatessen. Die Zeit der Gefährdung im Supermarkt am Stendahl-Syndrom zu erkranken, ist unterdessen trotzdem vorbei. Und auch das letzte versnobte Großstadtkid hat sich daran gewöhnt, dass es kein veganes Ramen-Restaurant oder ein Freiluftkino gibt –immerhin hat Pisa dafür auch nur ein Bike-sharing System und nicht 35.

Neben Alltag bedeutet ERASMUS auch Party. Dabei fühlt man sich regelmäßig an schlimme Unipartys der Erstizeit zurückerinnert. Damals, als Awareness-Teams noch in der Trainingsphase waren und man nicht wusste, wofür Menschengruppen in Clubs regelmäßig in Klokabinen verschwinden. Damals, als Pittbull noch den Soundtrack lieferte für komische Balzversuche. Du hattest diese Phase nie? Herzlichen Glückwunsch. Ich möchte sie auf jeden Fall nicht wiederholen. „Spende Licht und die Dunkelheit wird sich von selbst auflösen.“, soll Erasmus mal gesagt haben. Puh. Deswegen jetzt mal zu den schönen Dingen: Ich war im Oktober im Meer baden. Das war verrückt. Dafür, dass ich meine Wohnung über eine dubiose Internetseite gefunden habe, wohne ich jetzt sehr zufriedenstellend. Schon jetzt kenne ich auch ohne regelmäßige Teilnahme an Pittbull-Partys eine Handvoll Menschen, mit denen es sich über die Absurditäten unserer aktuellen Lebenssituation herziehen lässt. Ich kann die Hunde meiner Mitbewohnerin endlich auseinanderhalten. In Pisa darf man sich offiziell nach 23 Uhr nicht mehr auf die Straße setzen – ich mache das trotzdem sehr gerne, so wie ungefähr alle anderen Studierenden auch. Wenn nachts die Plätze der Innenstadt zu den eigentlichen Attraktionen werden, ist es hier gar nicht mal so schlecht.

Bild: Erasmus, Hans Holbein the Younger, 1523. Wikicommons (bearbeitet)

3 Kommentare zu „In Erasmus we trust.

  1. Schöner Text. Hab meine Zeit in der Prager-Erasmus-Blase in vielen Teilen wiedergefunden nur sehr viel schöner in Worte gefasst. Bin hier übrigens über die Empfehlung des FU fb Accounts gelandet und werde jetzt öfter mal vorbeischauen.

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