Die Malerei Gerhard Richters ist in einer beständigen Hochkonjunktur, nicht nur gilt er als teuerster Künstler der Gegenwart, ihm wurde auch eine umfassende Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie, dem Centre Pimpidou und der Tate Modern gewidmet (Gerhard Richter: Panorama, 2012). Stellvertretend für das große Interesse steht aktuell der Kinofilm Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donnersmark, welcher Richters Biografie nachempfunden ist. Warum die Aufmerksamkeit um den Künstler wirklich gerechtfertigt ist, zeigt stattdessen die Ausstellung im Museum Barberini. Eine Empfehlung.
von Charlotte Rausch | Foto Helge Mundt © Museum Barberini
Die Ausstellung Gerhard Richter. Abstraktion im Museum Barberini präsentiert über 90 Werke aus fünf Jahrzehnten, die zum Teil erstmalig öffentlich präsentiert werden. Zu sehen ist ausschließlich Richters Abstrakte Malerei, die in chronologischer Reihenfolge sowie in Themenschwerpunkten ausgestellt sind. Darunter die monochromen Bilder, die Serie der Spachtel- und Rakelbilder, Schwarz-Weiß-Fotografien, die teils übermalt wurden, sowie die Farbtafeln und Strips.
Den Anfang machen die grau-monochromen Bilder – oder sind es nicht doch eher Vorhänge? Hier stellt sich bereits die gerechtfertigte Frage, ob es sich um Abstraktion handelt und was diese bei Richter bedeutet. Eine Antwort geben die weiteren Werke in der Ausstellung – sie zeigen die Fülle der Möglichkeiten von ungegenständlicher Malerei wie beispielsweise die Rakelbilder veranschaulichen. Die Bilder jener Serie sind benannt nach der Rakel, einem linealähnlichen, großen Balken aus Plexiglas. In der Regel trägt er 2 -3 Grundfarben auf die Leinwand, bevor er die Rakel einsetzt. Sie ersetzt den Pinsel, indem der Maler die Rakel entlang der Leinwand schabt und krazt. Durch den Auf- und Abtrag verbinden sich die verschiedenen, teils feuchten, teils trockenen Farbschichten zu einzigartigen Schlieren. Die Haptik jener großformatigen Bilder verweist in ihrer Wirkung deutlich auf ihren Arbeits- und Entstehungsprozess und lässt auf die künstlerische Autorenschaft deuten. Gleichzeitig begnet der Besucher hier einem Problem, das nicht eindeutig geklärt werden kann. Das Verhältnis Richters zu dem Werkzeug der Rakel kann als Loslösung des künstlerischen Schöpfungsprozesses gedeutet werden: denn Richters Bilder entstehen durch die kontinuierliche Wiederholung des Rakels. Die Repetition dient also als Schlüssel zur Abstraktion. Paradoxerweise stellte der Künstler 1999 in einem Interview fest: „Ich bin zum Beispiel nicht in der Lage, ein Bild herzustellen, das so ähnlich ist wie das Bild X, das ich vor einem Jahr gemalt habe.“¹
Angesichts der ausgestellten, abstrakten Werke kann Richters Selbstanalyse nicht vertreten werden. Zu deutlich bestimmen sich auch die Farbtafeln, für die sich der Maler von RAL-Farbtafeln inspirieren ließ, jene bekannten und normierten Farbsystemen und -katalogen der RAL-Firma. Für jene Werksgruppe nutze Richter den Zufallseffekt, um Farbpaarungen zu erhalten. Markant ist, dass der Maler den Entstehungsprozess über mehrere Jahrzehnte beibehielt. So erfährt man in der Ausstellung, dass Richter bei einigen frühen Bildern aus den 60er Jahren durch den Künstler Blinky Palermo unterstützt wurde. Bei späteren Bildern ließ Richter die Farbpaarungen durch ein Computerprogramm generieren, und übertrug diese als Schemata auf die Leinwand. Dieser Werksprozess wiederholt sich in leichter Abwandlung auch bei der ausgestellten Werksgruppe der Stripes. Deren Ausgangswerk ist ein Abstraktes Bild Richters von 1980, welches ebenfalls in der Ausstellung (Raum 7) zu sehen ist. Für die Stripes greift Richter auf einen aufwendigen, computergenerierten Prozess zurück, in dem das Ausgangswerk digitalisiert wird. Dieses wird in 4.096 schmale Querstreifen dekonstruiert, die lediglich 0,08 mm breit sind, um anschließend in die Horizontale gezogen werden. Aus diesen Teilstücken, die Richter neu zusammensetzt, entstehen die Strips. Sie werden auf Papier gedruckt und auf einer Aluminiumplatte hinter Acryglas aufgezogen. Damit wird deutlich, dass die Strips als Reduktion eines älteren, abstrakten Bildes entstehen, ohne das letzteres ersichtlich wird.
Welchen Eindruck erweckt die Ausstellung der Richter-Werke im Barberini? Sie nivelliert die Grenzen, die als Einteilungen oftmals im Werkes des zeitgenössischen Künstlers vorgenommen werden. Die unscharfe Trennung in Abstraktion und Gegenständlichkeit, die Richters Œvre seither ebenso bestimmt. Die Ausstellung führt deutlich vor Augen, dass die Frage nach dem entweder – oder nicht eindeutig zu beantworten ist, wie die grau-monochromen Bilder im ersten Raum zeigen. Demnach muss der Fokus der Betrachter:innen verlagert werden: Der Zugang zu Richters Abstraktion erschließt sich nicht durch das Gezeigte, sondern durch den Negativabdruck, dem, was nicht zu sehen ist. Schließlich zeigt die Abstraktion dann, was wichtig ist, und gibt zu verstehen, dass das Gesamtwerk des Künstlers stets zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion changiert.
Was die Exponate ebenso preisgeben, ist der Einblick auf Richters Schaffensprozess, der sowohl durch den Wandel, als auch durch die Repetition bestimmt ist. Wandel bedeutet bei Richter Vielfalt und Variation der Abstraktion, Repetition zeigt sich hier keinesfalls monoton oder ordinär, sondern auf der Ebene des künstlerischen Arbeitsprozesses als ideales Werkzeug, die einzelnen Serien und Gruppen deutlich voneinander unterscheiden zu können, nur um sie dann doch wieder als Einheit wahrzunehmen. Dadurch ergibt sich ein panoramaartiges Spektrum abstrakter Malerei, die sich durch verschiedene Stile und -wechsel kennzeichnet. So stehen die über 90 Werke letztlich vor allem für sich selbst, und können als eine Art Plädoyer für die Malerei im Feld der zeitgenössischen Kunst gelesen werden. Oder wie der Künstler ganz unverblümt im Audioguide beschreibt: „Das Denken ist beim Malen das Malen.“
Ergänzt wird Gerhard Richter. Abstraktion durch informative, aber nicht überladende Begleittexte sowie einem empfehlenswerten Audioguide, der glücklicherweise oftmals den Künstler selbst sprechen lässt. Damit steht die Vermittlung der Konzeption der Kurator:innen in nichts nach; das Team um Dr. Dietmaer Elger, Leiter des Gerhard Richter Archivs an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, und der Direktorin des Barberini, Dr. Ortrud Westheider, haben eine Ausstellung geschaffen, die absolut sehenswert ist.
Gerhard Richter. Abstraktion im Museum Barberini. 30. Juni bis 21. Oktober 2018. Der Eintritt ist für Studenten:innen der Kunstgeschichte bzw. den verwandten Studiengängen gegen Vorlage eines gültigen Studentenausweises frei.
Weiterführendes
¹ Gerhard Richter, zit. n. Dieter Schwarz: Über Aquarelle und verwandte Dinge, in: Winterthur 1999, S. 5–16, hier S. 13.