Das Fotogramm

von Claudia Lojack

Der ein oder andere kennt es noch vom praktischen Arbeiten im Kunstunterricht in der Schule: In der Dunkelkammer legte man transparente, lichtdurchlässige Gegenstände auf Fotopapier, belichtete das Bild und badete es anschließend in drei Wannen mit Entwickler-, Stopp- und Fixierflüssigkeit. Im Ergebnis zeigten sich die Schatten der Objekte als weiße Formen auf schwarzem Hintergrund – ein Fotogramm war entstanden.

Wo in früheren Schularbeiten meistens noch genau zu erkennen war, was für Dinge auf das Fotopapier gelegt wurden, erscheinen in den Fotogrammen der Künstler:innen der aktuellen Ausstellung „Verborgenes Licht. Fotogramme künstlerisch erforscht“ abstrakte Formen, verwobene Muster sowie Schatten und Lichter in differenzierten Schwarz-Weiß-Abstufungen. In einem Forschungsseminar im Rahmen eines Q-Tutoriums an der Humboldt-Universität zu Berlin haben sich Studierende der Kulturwissenschaften künstlerisch forschend mit Fotogrammen auseinandergesetzt. Q-Tutorien sind durch das bologna.lab geförderte Veranstaltungen, in denen ein interdisziplinärer Forschungszusammenhang erarbeitet wird. Vom 23. Februar bis 25. März 2018 zeigen die Seminarteilnehmer:innen ihre Ergebnisse in einer selbst kuratierten Ausstellung im Museum für Fotografie.

Wir haben uns mit Alicia und Paula aus dem Projekt getroffen, um mehr über ihre Arbeiten herauszufinden.

Bevor wir über eure künstlerischen und kuratorischen Erfahrungen in dem Forschungsseminar sprechen, könnt ihr vielleicht kurz erklären: Was ist ein Fotogramm überhaupt?

Alicia: Den Begriff Fotogramm zu definieren, ist unglaublich schwer. Wir haben uns im Seminar lange mit der Frage, was ein Fotogramm ist, beschäftigt und viel darüber diskutiert – zu einem endgültigen Punkt sind wir nie gekommen. Kurz und knapp kann es als kameralose Fotografie bezeichnet werden. Das bedarf aber einer genaueren Erklärung.

Paula: Im Vergleich zur Fotografie durch eine Kamera, welche unsere Wahrnehmung, die wir über das Auge aufnehmen, widerspiegelt, hat man bei Fotogrammen diesen Spiegel nicht. Man belichtet Objekte, die direkt auf dem Fotopapier liegen. Im Fotogramm wird daher nicht die äußere Form, wie wir sie durch das Auge wahrnehmen, wiedergegeben, sondern es erscheinen die Schatten und Abschattungen des Abgebildeten. Dadurch eröffnet sich eine andere, ungewohnte Wahrnehmungsperspektive. Es zeigt sich eine Ebene, die man normalerweise nicht bewusst sieht und die gewissermaßen erst durch die Technik sichtbar wird. Im Prinzip kann auch ein Sonnenbrand auf der Haut eine Art Fotogramm sein.

Wie habt ihr euch der Thematik des Fotogramms im Seminar genähert?

Paula: Wir beschäftigen uns schon seit dem Sommersemester 2017 mit Fotogrammen. Wir haben uns zunächst erst theoretisch in Form von Texten mit dem Thema auseinandergesetzt, haben uns mit der Geschichte und Fotogrammen anderer Künstler befasst und konnten uns in der Sammlung des Museums für Fotografie Originale anschauen. Anschließend haben wir angefangen, in der Dunkelkammer zu arbeiten und erstmal die Basics gelernt, um die Technik zu begreifen.

Alicia: Im Wintersemester 2017/18 haben wir uns dann auf die Ausstellung fokussiert. Dabei haben sich einige von uns mehr auf die Arbeit in der Dunkelkammer und das Erstellen der Fotogramme konzentriert und andere auf das Kuratieren der Ausstellung – alle konnten sich jedoch in beiden Bereichen einbringen.

Was könnt ihr zu der Entstehung eurer Fotogramme sagen?

Paula: Die meisten Fotogramme sind spontan und experimentell entstanden, das Ergebnis war meistens willkürlich. Wir haben beispielsweise mit Wasser und Boardmarkern gearbeitet oder mit Chemikalien experimentiert. Auch haben wir verschiedene Lichtquellen ausprobiert, wie Kerzen, Streichhölzer, Taschenlampen, Leuchtstäbe und ein Vergrößerungsgerät für Fotografien.

Alicia: Wir konnten vorher nie genau wissen, wie das Ergebnis dabei aussehen wird. Es ist zufällig und es ist einmalig. Das heißt auch, dass es sehr schwer ist, ein Fotogramm ein zweites Mal exakt genauso wiederherzustellen. Das war manchmal sehr schade, wenn wir zum Beispiel ein gelungenes Fotogramm vergrößern wollten. Dafür ist jedoch jedes Fotogramm ein Unikat.

Wie ist es möglich, neben den genutzten Materialien noch Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen?

Paula: Es kann beispielsweise die Belichtungszeit verändert werden oder die Dauer, wie lange das Fotopapier in den Chemikalien verbleibt. Es lassen sich auch verschiedene Lichtfilter einsetzen, wodurch Kontraste verstärkt oder verringert werden können. Dabei ist es wichtig, dass immer nur einen Parameter verändert wird, um zu sehen, welches Mittel welche Wirkung erzielt.

Wieso erscheinen in den Fotogrammen die abgebildeten Gegenstände weiß und der Hintergrund schwarz?

Paula: Das ist im Prinzip das Gleiche wie bei dem Negativ einer Fotografie. An Stellen, wo das Licht hinkommt, reagiert das Fotopapier im Entwickler und wird schwarz. An die Stellen, wo ein Objekt liegt, trifft kein oder weniger Licht auf die Fläche, sodass das Fotopapier dort nicht oder in einem geringeren Maß im Entwickler reagiert.

Zwischen Fotogrammen und Fotografien besteht anscheinend ein enger Zusammenhang. Es entstehen Negative, es bedarf einer Dunkelkammer, Objekte werden auf Fotopapier festgehalten. Was könnt ihr über das Verhältnis von Fotografie und Fotogrammen sagen? Baut die Fotografie auf Fotogrammen auf?

Paula: Fotogramme können möglicherweise als ein Baustein der Fotografie bezeichnet werden. Dabei hat es sich jedoch zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt. Die Frage nach dem Verhältnis von Fotografie und Fotogrammen ist ein heikler Punkt, über den wir viel in unserem Seminar diskutiert haben. Man kann nicht sagen, dass das eine auf das andere aufbaut. Im Ausstellungstext haben wir geschrieben, dass das Fotogramm auf die Grundlagen der Kamera-Fotografie verweist – also eine vage Bezeichnung.

Aprops Ausstellung: Wie seid ihr beim Kuratieren vorgegangen?

Alicia: Da das Ergebnis der Fotogramme eher unvorhersehbar ist, konnten wir nicht vorher bestimmen, was wir in der Ausstellung zeigen wollen und nach diesen Vorstellungen Fotogramme produzieren.

Paula: Wir mussten überlegen, wie wir unsere experimentell entstandenen Arbeiten am besten präsentieren. Dabei haben wir uns gefragt, welche Bilder ästhetisch ansprechend sind und welche Bilder wie gruppiert werden können. Da ein Fotogramm jedoch unter allen möglichen Aspekten betrachtet werden kann, werden in der Ausstellung keine klaren Grenzen gezogen. Die kategorische Zuordnung der Fotogramme erfolgte unter dem Gesichtspunkt, der bei dem einzelnen Fotogramm jeweils am meisten herausstach. Es gibt in der Ausstellung aber auch eine experimentelle Wand.

„Verborgenes Licht“ ist keine Kunstausstellung in dem Sinne, sondern soll unsere Arbeit, das Künstlerische und das Forschende gegenübergestellt, darstellen. Die Ausstellung zeigt, wie wir uns das Thema Fotogramme erarbeitet haben.

Was ist das Besondere für euch an Fotogrammen?

Paula: Für mich ist es der Perspektivwechsel. Es ist zwar eine fotografische Technik, aber sie zeigt etwas ganz anderes, als man sieht. Es gibt eine Referenz zum Objekt, aber das ursprünglich Abgebildete wird oft nicht erkannt und andere Sachen hineininterpretiert. Das macht es spannend und besonders.

Alicia: Genau, jeder hat unterschiedliche Assoziationen und sieht etwas anderes in den Fotogrammen. Aber gleichzeitig hat es durch das Dokumentarische auch einen objektiven Charakter – und das ist das Faszinierende. Hierbei wird wieder die Beziehung zur Fotografie sichtbar. Es wäre etwas anderes, wenn das Abgebildete identisch mit Farben gemalt sein würde, also aus dem Subjektiven heraus entstünde.

Außerdem lässt sich bei der praktischen Auseinandersetzung mit Fotogrammen viel über verschiedene Materialitäten erfahren. Man entdeckt Details an Gegenständen, die erst durch das Fotogramm sichtbar gemacht wurden oder erst dadurch besser wahrgenommen werden können. Ich nehme Schatten von Gegenständen jetzt viel bewusster wahr.

Was hat euch an dem Seminar besonders gut gefallen? Könnt ihr es weiterempfehlen?

Alicia: Ich empfehle es auf jeden Fall weiter. Im Studium, insbesondere in Kunstgeschichte, fehlt es normalerweise oft an praktischer Anwendung. Seminare über künstlerische Techniken und Materialien werden oft nur theoretisch behandelt. Ich fand es außerdem sehr spannend, das Interesse und die Faszination der BesucherInnen in der Ausstellung zu sehen. Fotogramme bieten viel Gesprächsstoff, auch für Leute, die sich normalerweise nicht mit Kunst beschäftigen. Es wird dabei nicht die Frage gestellt, ob die Fotogramme Kunst sind oder nicht, sondern: Was ist überhaupt zu sehen? Ich finde es interessant, dass eine so alte Technik wiederentdeckt und damit weiterexperimentiert wird.

Paula: Mir hat das Tutorium auch super gefallen, vor allem weil es ein kleiner Kurs war und man dadurch viel besser arbeiten konnte. Zudem hat es sehr großen Spaß gemacht. Daher kann ich es auch nur weiterempfehlen und es wäre schön, wenn es mehr solcher Angebote gäbe.

Vielen Dank für das Interview!

Die Studio-Ausstellung „Verborgenes Licht. Fotogramme künstlerisch erforscht“ ist noch bis zum 25. März 2018 im Museum für Fotografie zu sehen.

Das Q-Tutorium zu Fotogrammen wird auch im Sommersemester 2018 an der Humboldt-Universität im Bereich Kulturwissenschaften angeboten. Zum inhaltlichen Schwerpunkt äußert sich der Seminarleiter András Vég wie folgt: „Die Aufgabe für das nächste Semester wird sein, unser Wissen und unsere Forschungsergebnisse weiter zu vertiefen und zu systematisieren und anhand dessen eine Art Onlinepublikation mit Texten und reichem Bildmaterial zu erstellen. Als Exkurs werden wir auch Lochkameras kennenlernen, um den technischen und phänomenologischen Unterschied zwischen der Kamerafotografie und den ,fotogrammmäßigenʻ Verfahren besser zu verstehen.“

Mehr zum Projekt: https://www.facebook.com/bildervollerlicht/

Weitere Infos: https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/museum-fuer-fotografie/ausstellungen/detail/verborgenes-licht.html

 

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