von Caroline Warth
Auf meinem Weg von der U-Bahn nach Hause fiel mir ein ungewöhnlich alter, kaum übersehbarer Automat in der Florastraße in Pankow auf. „Prager Frühling 1968“ steht in gelber Schrift auf dem Automaten in knalligem Orange, der sich seit letztem Jahr an der Hauswand der gleichnamigen Kneipe befindet.
Auf der Frontseite ist ein historisches Ereignis aus dem Prager Frühling 1968 zu sehen: im Zentrum der von Aufständischen gesäumten Szene, die sich am 21. August 1968 auf dem Altstädterring in Prag abspielte, steht ein sowjetischer Panzer. In Orange- und Gelbtönen ist der gewaltsame Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts dargestellt.
Nachdem der Sozialismus in der Tschechoslowakei durch die tschechoslowakische Kommunistische Partei (KPČ) unter Alexander Dubček reformiert und ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ etabliert werden sollten, marschierten am 21. August 1968 Truppen des Warschauer Pakts gewaltsam in die Tschechoslowakei ein, um das Vorhaben zu unterbinden. Die Nationale Volksarmee der DDR war nicht an der Invasion beteiligt. Luděk Pachl, der Wirt der Kneipe, die sich im ehemaligen Ost-Berlin befindet, stellt klar, dass der Name der Kneipe, an dem sich auch die Gestaltung des Automaten orientiert, nicht politisch gemeint sei.
Der von dem Künstler und Restaurator für Wandmalerei, Frank Rexin, kunstvoll mit Acrylfarben gestaltete Automat ist allerdings nicht nur äußerlich ein „Kunstautomat“. Hier kann man keine Zigaretten oder Kaugummis ziehen, sondern „Kleine Kunstwerke in der Schachtel“, wie die Aufschrift des Automaten verrät.
Ich bin neugierig geworden und versuche mein Glück. Nach dem Münzeinwurf kann ich mich für einen von vier Schächten entscheiden. Heraus kommt eine Schachtel, ähnlich einer Zigarettenschachtel, und auch auf ihr wird gewarnt:
„Diese Kunst kann verwirren, erhellen, aufregen und süchtig machen! Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie sich selbst und schreiben Sie uns eine Antwort. Jegliche Haftung ist ausgeschlossen. Innenliegende Kunst ist direkt vom Künstler verpackt worden. Jedes Päckchen enthält ein Unikat. Es gehört jetzt Dir.“
Ich öffne sie und halte einen kleinen quadratischen Karton in der Hand, auf dem eine abstrakte Druckgraphik eines Huhns in hellem Blau und Rot vor dunklem Hintergrund zu sehen ist. Auf der Rückseite des Kartons befindet sich ein Magnet. Das kleine Kunstwerk ist von Frieda Knie aus Wiesburg/Mark.
Der Kunstautomat in der Florastraße ist einer von 11 Kunstautomaten in Berlin und insgesamt rund 160 in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Spanien, die an öffentlich zugänglichen Orten wie Cafés, Bars, Hotels oder kommunalen Einrichtungen zu finden sind und durch die Potsdamer Agentur „kunsttick“ (kunsttick.com) betrieben werden. An diesen Automaten kann man für vier Euro ein Kunstobjekt im Zigarettenschachtel-Format erstehen. Die Schachteln enthalten Originalkunstwerke von einer oder einem der über 200 beteiligten KünsterInnen, die höchstens die Größe der gezogenen Schachtel besitzen.
Bei der Gestaltung ihrer Werke sind den KünstlerInnen hinsichtlich Gattung, Technik und Material keine Grenzen gesetzt. Ob Bilder, wie Graphiken, Malerei, Fotografien oder Collagen, Objekte wie kleine Skulpturen oder Schmuck, alles ist möglich, solange die Kunstobjekte in die kleinen Schachteln reinpassen. In der Regel handelt es sich hierbei um Unikate oder Exemplare einer limitierten Kleinstserie eines Künstlers oder einer Künstlerin.
Neben dem durch die Künstlerin oder den Künstler selbst verpackten Mini-Kunstwerk ist auch ein „Beipackzettel“ enthalten. Dieser informiert nicht nur über das Projekt „Kunstautomat“, sondern stellt auch Informationen über den Künstler oder die Künstlerin des Werks sowie Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung.
Lars Kaiser, der Inhaber der Agentur „kunsttick“, hat das Projekt 2001 ins Leben gerufen und leitet es seither. Ebenfalls beteiligt ist der Automatenspezialist Andreas Petzke. Er erneuert alte Zigaretten-, Kondom- oder Kaugummiautomaten und ist für die Aufstellung, Befüllung und Wartung zuständig. Die Gestaltung der einzelnen Automaten kann durch KünstlerInnen erfolgen und an den jeweiligen Aufstellungsort angepasst werden, wobei jeder Kunstautomat ein Unikat ist. Von dem Erlös geht jeweils ein Euro pro Schachtel an den Künstler oder die Künstlerin, der Rest wird für Wartung, Befüllung und Versicherung genutzt. Auf kunstautomaten.com kann man neben vielen Informationen rund um das Projekt auch eine Karte mit den europaweiten Standorten der Kunstautomaten finden.
Das Konzept „Kunstautomat“ stammt ursprünglich von den Künstlern Karl von Monschau und Willy Gallinowski. Sie stellten ihre Idee 1979/80 im Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen vor. Auch auf der documenta 7 (1982) stand ein Kunstautomat vor dem Fridericianum in Kassel. Kunstautomaten fungieren als Schnittstelle zwischen KünstlerInnen und Kunstinteressierten. KäuferInnen können einen Zugang zur Kunst erlangen und regionale KünstlerInnen erhalten eine Plattform, um sich und ihre Arbeit einem Publikum näher zu bringen. Kaisers Ziel ist es „die Kunst wieder in unser tägliches Lebensumfeld zu bringen, so ganz direkt im urbanen städtischen Wohn- und Lebensraum, 24h täglich.“ (http://www.kunstautomaten.com/assets/kunstautomaten-informationsblatt2016.pdf, 07.03.2018). Rund um die Uhr und frei von Berührungsängsten kann jeder Originale zu einem sehr erschwinglichen Preis erwerben. Ob als kleines Mitbringsel oder Geschenk, der Überraschungseffekt ist garantiert!
Weiterführende Links:
http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/68er-bewegung/52007/prager-fruehling
https://www.facebook.com/Kunstautomat/
Bildquelle: Caroline Warth