Kunst an Universitäten I: Ein Würfel sprach zu sich…

von IDA REES

Fünf fingerartige, dynamisch geschwungene Rohre umfassen die Würfelform.

„Ein Würfel sprach zu sich: Ich bin

mir selbst nicht völlig zum Gewinn!“

Ein in sich ruhender Würfel, aus seiner unteren liegenden Seite, fünf wachsende Rohrformen.

„Seine sechste Seite sieht statt in die Weite, der Erde ewig dunklen Schoß.“

Deplatziert, ohne Raumwirken, bemoost, beziehungslos, beschmutzt, manchmal plakertiert steht er zwischen Straße und Parkplatz.

„Der Würfel, innerlichst beleidigt, hat sich nicht weiter drauf verteidigt.“

Ein Würfel bedauert, dass er mit seiner sechsten Seite stets nur den dunklen Schoß der Erde sehen kann. In tragisches Selbstmitleid versunken, merkt er gar nicht, wie sein Monolog über diesen Zustand, die unter ihm ruhende Erde beleidigt. Auch sie ist durch seine Existenz verändert, könnte er sich wegbewegen, so würde sie an jener Stelle strahlen wie ein Karfunkel.  Dieses wunderbare Gedicht von Christian Morgenstern wurde ein wenig auseinander gerissen. So, wie auch Brigitte Matschinsky-Denninghoffs Skulptur „Der große Würfel“ aus dem Jahr 1970, aus ihrem Kontext gesetzt wurde. Selbst verteidigen kann sie sich nicht. Deshalb nun hier eine aufklärende Schrift zu diesem Raumobjekt und was es damit auf sich hat.

Das Kunsthistorische Institut der Freien Universität liegt zwischen Feldern, Schafskoppeln und der ein oder anderen spektakulären Villenarchitektur in Berlin-Dahlem. Wer noch nie in der Koserstraße 20 gewesen ist, sei mit zwei kleinen Brotkrumen angelockt:

Einer der wichtigsten Pferdestars des 18. Jahrhunderts, innig geliebt von keinem anderen als Friedrich dem Großen, ist demonstrativ das erste und einzige Objekt, welches im ersten Flur des Gebäudes gleichsam Veterinärmediziner:innen, Historiker:innen und Kunsthistoriker:innen verzaubert.  

Eine spektakuläre Schenkung, bestehend aus 550 Faksimile und Einzeldrucken, ist seit 2015 in der Bibliothek ansässig und allen Interessenten der mittelalterlichen Buchmalerei zugänglich.

In den 1960ern wurde auf dem ehemaligen Gärtnereigelände das Institut für Veterinärmedizin von dem Architekten Wassili Luckhardt erbaut. In dem Stahlskelettbau teilen sich seit den 90er Jahren der Fachbereich Veterinärmedizin, das Friedrich-Meinecke-Institut und das Kunsthistorische Institut die Räumlichkeiten.

Seit seiner Gründung 1948 ist das Kunsthistorische Institut der FU Berlin vier Mal umgezogen. Das ist drei Mal mehr als das hier betrachtete Objekt. Jedoch ist dieser eine Umzug folgenschwerer. Die Plastik, die nun verweist auf dem schmalen Grünstreifen zwischen Straße und Parkplatz steht, ist ihrem ursprünglichem Aufstellungsort entrückt. Ursprünglich planten die Bildhauerin Brigitte Matschinsky-Denninghoff und der Architekt des Gebäudes Wassili Luckhardt die Aufstellung in dem zentralen Innenhof. Der ehemalige Aufstellungsort wurde aus Platzgründen überbaut. Das Kunstwerk musste weichen.

Abb. 1: Ursprüngliche Raumaufteilung Koserstraße 20 mit dem  “Großen Würfel“

Hinter dem Namen Matschinsky-Denninghoff verbirgt sich ein Ehepaar, welches mit ihren zahlreichen Skulpturen den Berliner Stadtraum signiert und kommentiert. Allein in Berlin- Dahlem finden sich zwei dieser Objekte: “Der große Würfel” in der Koserstraße 20 und die Skulptur, „Scientia“ (1963) in der Fabeckstraße 34. Brigitte Matschinsky-Denninghoff berichtete stolz: „1969 holt uns ein Auftrag wiederum nach Berlin. Wassili Luckhardt hat mit einer für seine vornehme und zurückhaltende Persönlichkeit

Abb. 2: Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff im Berliner Atelier, 1984

überraschenden Härte durchgesetzt, daß wir eine Skulptur in den mittleren Innenhof seiner noblen Architektur für das Tiermedizinische Institut der FU in Dahlem stellen – das Herz des Baues, wie er sagte.” Sie weiß allerdings auch um die Deplazierung: „Inzwischen ist der Innenhof einem Umbau zum Opfer gefallen und der große Würfel steht vor dem Haus, der Straße zugewandt, bildet also nicht mehr das ‚Herzstück‘. Dafür entfaltet er eine entscheidene Signalwirkung, und wir glauben, auch diese Lösung hätte Wassili Luckhardt gefallen, ebenso wie uns.” Der Würfel in der Koserstraße hat seine ursprüngliche konzeptionelle Idee, verloren. Ist ihm die Wiedergeburt an der Straße gelungen?

In jedem Fall steckt ein Rückgriff auf die Renaissance im Konzept. So zumindest sieht dies die Berliner Kunsthistorikerin Christa Lichtenstern und zieht einen feinen Vergleich: Die Zwiesprache zwischen geometrischen und organischen Formen, die hier einen Dialog aufnimmt, erinnere an eine Federzeichnung in Leonardo Da Vincis Sintflut-Serie.

Abb. 3: Leonardo Da Vinci, Sintflut, Royal Collection Windsor Castle

Der Vergleich ist gewagt. Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff schaffen mit ihren Rohrkörpern Kunst für den öffentlichen Raum. Formen nehmen Volumen an, werden dreidimensional und treten in den Dialog mit uns – den Betrachtenden und dem Raum.

Ab den 1960er Jahren arbeitet das Künstlerehepaar den unverwechselbaren Stil ihrer monumentalen Rohrkörper heraus. Ein sehr präsentes Beispiel dieser Arbeiten ist die Skulptur „Berlin“ (1987) auf dem Mittelstreifen der Tauentzienstraße in Berlin-Charlottenburg. Es ist eine Formsprache, die mit einfachen geometrischen oder organischen Figuren kontrastiert. Die Skulptur “Berlin” erinnert schwerelos tanzend, schwingend, halb zusammen, halb getrennt und doch miteinander verbunden, an die Teilung der Stadt und lieferte in ihrem Entstehungsjahr ein politisches Statement.

Zeit unserem verwaisten Würfel eine neue Chance zu geben – also lasst das mit dem Plakate kleben!


WEITERFÜHREND:

Martina Schilling: Freie Universität Berlin: Ein Architekturführer zu den Hochschulbauten, Berlin 2010.

Abbildungsnachweise:

Titelbild: Axel Mauruszat aus Wikipedia (CC BY 2.0 DE)

Abb. 1: Schilling, Martina: Freie Universität Berlin. Ein Architekturführer zu den Hochschulbauten, Berlin 2010, S. 110.

Abb. 2: Busche, Ernst/ Raddatz, Rose-France: Matschinsky-Denninghoff. Skulpturen und Zeichnungen 1955-1985, Akademie der Künste, Berlin 1985, Abb. 213.

Abb. 3: Boussel, Patrice: Leonardo da Vinci. Leben und Werk, Stuttgart/Zürich 1989, S. 147.

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