Max J. Friedländer – „Kunsthistoriker von Gottes Gnaden“

von Eva Dalvai

Die Glanzzeit preußischer Museen, in welcher der „Museums-General“ Wilhelm von Bode alles und jeden überstrahlte, gar überrollte, war auch die Zeit des stillen Max J. Friedländers (1867-1953). Heute für viele Studenten lediglich ein Name auf Schriften zur altdeutschen und besonders altniederländischen Kunst, war er seinerzeit ein international gefragter und geschätzter Kenner, der über zwanzig Jahre lang erfolgreich die Geschicke des Kupferstichkabinetts und der Gemäldegalerie leitete. Dank Simon Elsons feinsinniger Biografie findet diese schwer fassbare Persönlichkeit endlich die ihr gebührende Würdigung.

Der Untertitel „Biografische Skizzen“ erscheint angesichts des kolossalen Unterfangens des jungen Kunsthistorikers wie eine wohlwollende Untertreibung. Auf knapp 400 Seiten (ganz zu schweigen von den 100 Seiten Fußnotentext) umreißt er das Leben und Schaffen eines Mannes, der seine gesamte Existenz der Kunst widmete. Die Biografie folgt Friedländers Lebensetappen weitestgehend chronologisch. Behütet in einer wohlhabenden jüdischen Familie aufgewachsen, verbrachte er seine Jugend weniger in der Schule als vor den Werken des Alten Museums und brillierte bereits während seines Studiums aufgrund seines erkennenden Auges. Dem Eintritt in die Gemäldegalerie 1896 als „Hülfsarbeiter“ folgte eine steile Karriere unter dem „Dauervorgesetzten“ Bode – die “Ära Friedländer/Bode” war eingeleitet. 1908 zum Direktor des Kupferstichkabinetts und 1929 zu dem der Gemäldegalerie ernannt, erweiterte er geschickt die Sammlungen um bedeutende Werke namenhafter Künstler wie Hugo van der Goes oder Matthias Grunewald. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten setzte seiner Karriere 1933 ein abruptes Ende. 1939 in die Niederlande emigriert, überlebte er geschützt durch sein Renommee und seiner Begabung als Kenner, derer sich auch die Parteieliten und ihre Kunsthändler bedienten. Friedländer verstab mit 91 Jahren 1953 in Amsterdam und hinterließ mehr als 600 Veröffentlichungen.

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Erfolgreich von Friedländer für die Gemäldegalerie angekauft: Hugo van der Goes, Anbetung der Könige, Teil des Monforte-Altars, c. 1470; Foto: wikimedia

Elson stellt sich mit dem Nachvollziehen von Friedländers Werdegang und noch mehr seines Wesens keinem leichten Unterfangen. Der Kunstliebhaber war, wie der Autor zu illustrieren weiß, durch und durch preußischer Staatsbeamter, der sein Privatleben gänzlich hinter seine Aufgaben als Museumsangestellter reihte – mehr noch, er war menschenscheu, „seelischer Allergiker“, stets korrekt, zurückgezogen und bescheiden. Eigene Aussagen zu seiner Vita jenseits der Arbeit sind rar. Vor diesem Hintergrund erstaunt das umfassende Bild, das Elson von der Persönlichkeit dieses hermetischen Mannes zeichnet umso mehr. Um zu ihm vorzudringen, stützt sich der Autor hauptsächlich auf zeitgenössische Quellen, Parallelüberlieferungen, den spärlich gesäten Selbstaussagen sowie seine eigenen, vorsichtigen Überlegungen. Die Biografie lebt von der umfangreichen, tiefgreifenden Quellenarbeit, doch liegt in der stellenweise zu kleinteiligen Kompilation von Dokumenten und Berichten die vielleicht größte Schwäche des Werks – die fragmentarischen Einzelanekdoten erschweren teilweise das Folgen des Gesamtzusammenhangs. Vor dem gewaltigen Fußnotenapparat muss ein Leser, der keinen wissenschaftlichen Anspruch an seine Lektüre stellt, schlichtweg kapitulieren. Doch tut dies dem Werk keinen Abbruch.

Friedländer_Cover

Seinen Mehrwert gewinnt die Biografie aus dem Umstand, dass sie in ihrem linearen Erzählmuster den Leser mit auf eine Zeitreise nimmt, die neben einer bemerkenswerten Lebensgeschichte auch Schilderungen und Überlegungen zu den begleitenden historischen und gesellschaftlichen Umständen einwebt. Auch dank der kontextuellen Exkurse zur Zeitgeschichte entsteht so nicht nur das Porträt einer Person, sondern des Umfelds in dem diese sich bewegte. So erlangt man beispielsweise Einblick in die damalige Verstrickung der Museen mit dem Kunstmarkt oder wird in die Lage des jüdischen Bürgertums in Preußen versetzt und erfährt über die verschiedenen Haltungen, die man als Jude in einem solchen Staat annehmen konnte. Am Ende bleibt nicht das Gefühl, man hätte Friedländers Wesen durchdrungen, sondern vielmehr seine sich stetig wandelnde Umwelt durch seine scheuen Augen betrachtet.

Gerade für uns Berliner Kunstgeschichtsstudierende ist das Buch überaus empfehlenswert, da man durch Friedländers Biografie auf einzigartige Weise in die prägende Epoche für die hiesige Museumswelt eintauchen kann. Doch darüber hinaus, lohnt sich die Lektüre für all jene, die sich dafür interessieren, was es vor rund hundert Jahren bedeutete, ein Museumsmann und Kunsthistoriker zu sein. Von Studierenden wird heute nicht mehr verlangt, dass sie Werke per Blick zeitlich, geographisch und stilistisch einordnen, geschweige denn einzelnen Künstlerpersönlichkeiten zuschreiben können. In einer Zeit, in der es jedoch noch galt, viele grundlegende Entdeckungen und Zuschreibungen zu machen, gehörten Kennerschaft und Stilkritik zu den grundlegenden Werkzeugen eines Kunstgelehrten. Friedländer war der Kenner und Elson beschreibt eindringlich den Stellenwert dieser heute in der standardisierten akademischen Ausbildung als zu subjektiv beargwöhnten Methode. Doch Elson würdigt nicht nur den „absoluten“ Blick des Kunsthistorikers, sondern setzt sich auch kritisch mit den wissenschaftlichen Grenzen der Methode als solche auseinander und beleuchtet die Problematiken, die es mit sich brachte, parallel zur Museumsarbeit bezahlte Gutachten für den Kunstmarkt zu fertigen. Denn auch Friedländer war alles andere als unfehlbar, einen Anspruch, den er übrigens nie erhob: „Es hat nur einen Kunstkenner gegeben, der sich nie blamiert hat, und der war stumm und konnte nicht schreiben.“

Simon Elson: Der Kunstkenner. Max J. Friedländer. Biografische Skizzen. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2016, 527 S., 48 €.

Titelbild: Max J. Friedländer um 1910 (Foto: SMB-ZA, V/Slg. Personen, Friedländer, Max)

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